Die endliche Geschichte zum Facharzt für Allgemeinmedizin

 

Der österreichische Weg zum Facharzt für Allgemeinmedizin war ein langer und steiniger, der sich über mehr als zwei Jahrzehnte erstreckte. Der Prozess war von vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und medizinischen Veränderungen beeinflusst und geprägt. 

AUTOR: MR Dr. Wolfgang Hockl

Arzt für Allgemeinmedizin, PVE Enns, BezirksärztInnenvertreter Linz-Land, Referatsleiter Primärversorgungseinheiten der Ärztekammer für OÖ, diehausaerzte.at

 

Bereits im Juni 2004 beschloss man in der Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer neben der Änderung des Ausbildungssystemes für Ärzte in Österreich die Etablierung eines Facharztes für Allgemeinmedizin. Man war prinizipiell überzeugt davon, dass der Schaffung des Facharzttitels nach dem Studium eine essenzielle Bedeutung zukomme, um die Allgemeinmedizin als Karrierewahl attraktiver zu gestalten und im nationalen und internationalen Kontext wettbewerbsfähig zu werden.

Qualitätssichernde Maßnahmen unerlässlich

Gleichzeitig bestand die generelle Absicht, mit begleitenden Seminaren und Mentoringprogrammen eine hochqualitative Ausbildung zu ermöglichen und den Studierenden durch den kontinuierlichen Kontakt zu Fachkollegen eine frühe Möglichkeit der Identifikation mit dem Fach Allgemeinmedizin zu bieten. Schon damals war man überzeugt davon, dass diese qualitätssichernden Maßnahmen unerlässlich dafür sind, um den Erfolg der Ausbildung – nicht nur in der Allgemeinmedizin – sicherzustellen. Wie jedes Fach sollte aber auch die Allgemeinmedizin in Umfang und Struktur an die sich wandelnden Bedürfnisse des Gesundheitssystems angepasst werden. Die Entwicklung in den Jahren 2004 bis 2008 war von einer angedachten Ausbildungsdauer von 72 Monaten geprägt.

Im Jahr 2009 gab es dazu Alternativvorschläge, die in einem Konzept der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin festgehalten wurden. Relevante neue Inhalte waren dabei die Trennung der Approbation vom Kompetenzerwerb für den Facharzt Allgemeinmedizin, eine 2-jährige Sonderfachausbildung für den Fall, dass die existierende 3-jährige Turnusausbildung beibehalten würde, wobei festgehalten wurde, dass 18 Monate als Lehrpraxisausbildung erfolgen müssen; sechs Monate sollten für die im bisherigen Turnus fehlenden Fächer verwendet werden. Zugleich wurde die Schaffung eines Weiterbildungsverbundes festgeschrieben und der Facharzt für Allgemeinmedizin als Sonderfach als notwendig erachtet, auf den Titel wurde aber vorläufig verzichtet. 

Auf die darauffolgenden unzähligen (standes)politischen Diskussionen soll und kann hier nicht näher eingegangen werden. Mit der Ärzte-Ausbildungsordnung 2006, die mit 1. Juni 2015 außer Kraft getreten ist, wurden weitere Neuerungen geschaffen.

Systemische Wertschätzung gefordert

Wichtig ist, dass immer wieder mehr systemische Wertschätzung der Allgemeinmedizin gefordert wurde. Im sogenannten „Masterplan Allgemeinmedizin“ aus dem Jahr 2018 wurde abermals festgehalten, dass es einer strukturellen Aufwertung der Allgemeinmedizin bedarf. „Bei zunehmender Komplexität des Gesundheitswesens und drohender Unter- und Fehlversorgung kommt der Allgemein- und Familienmedizin die bedeutendste Rolle in der primärärztlichen Versorgung im Patienterstkontakt, der kontinuierlichen Betreuung und der Koordination zu. Sind die systemischen Voraussetzungen vorhanden, um diese Kernaufgaben zu erfüllen, erhöht sich auch die Attraktivität der Allgemeinmedizin. Dabei ist die vollumfängliche Beibehaltung ureigener hausärztlicher Arbeitsinhalte nachweislich einer der entscheidensten Faktoren der Attraktivierung des hausärztlichen Berufs. Die facharztadäquate Honorierung und ein modernes Honorierungssystem, das die speziellen Anforderungen und Möglichkeiten der hausärztlichen Arbeit berücksichtigt, ist einer der wesentlichen Aspekte, den Beruf zu attraktivieren“, lautet der Originaltext aus dem Positionspapier. 

Man war sich allerdings auch bewusst, dass jede einzelne der ausgearbeiteten Maßnahmen für sich selbst mitunter wenig Wirkung zeigen würde und dass die Umsetzung der miteinander verknüpften Maßnahmen nur in einem breit angelegten und von allen Entscheidungsträgern unterstützten Maßnahmenpaket zum Erfolg führen kann. Für die Attraktivierung und Aufwertung unserer Berufes bedurfte und bedarf es meiner Ansicht nach aber nach nach wie vor der Anerkennung der vielfältigen Aufgaben des Faches der Allgemeinmedizin per se.

Hausarztmodell stets aktuell

Das Hausarztmodell aus dem Jahr 2010 ist nach wie vor aktuell und definiert den Arbeitsauftrag der Allgemeinmedizin, der sich folgendermaßen präsentiert: 

  • primärärztliche Filter- und Steuerfunktion, insbesondere die angemessene und gegenüber Patient und Gesellschaft verantwortliche Stufendiagnostik und Therapie unter Einbeziehung von Fachspezialisten; 

  • die haus- und familienärztliche Funktion, insbesondere die Betreuung des Patienten im Kontext seiner Familie oder sozialen Gemeinschaft, auch im häuslichen Umfeld (Hausbesuch); 

  • die Gesundheitsbildungsfunktion, insbesondere Gesundheitsberatung und -förderung für den Einzelnen wie auch in der Gemeinde; 

  • die Koordinations- und Integrationsfunktion, insbesondere die gezielte Zuweisung zu Spezialisten, die federführende Koordinierung zwischen den Versorgungsebenen, das Zusammenführen und Bewerten aller Ergebnisse und deren kontinuierliche Dokumentation, sowie die Vermittlung von Hilfe und Pflege des Patienten in seinem Umfeld. 


Ende gut, alles gut

Gut Ding brauchte bekanntlich Weile und so gingen weitere Jahre ins Land, bevor es zu einem Schulterschluss aller Systempartner jenseits aller Partialinteressen kam. Mit dem letztendlich doch noch zustande gekommenen Facharzt für Allgemeinmedizin wird sowohl unser Beruf aufgewertet als auch die vielfach geforderte hochqualitative allgemeinmedizinische Versorgung der Bevölkerung sichergestellt. Gemäß § 256 ÄrzteG kann die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin frühestens ab 1. Juni 2026 – beginnend mit der Basisausbildung – gestartet werden.  Nach der 9-monatigen Basis­ausbildung folgt eine Sonderfach-Grundausbildung im Ausmaß von 33 Monaten und daran anschließend eine Sonderfach-Schwerpunktausbildung von letztlich (ab 1. Juni 2030) 18 Monaten. Letztere ist allerdings gemäß § 257 ÄrzteG abhängig vom Zeitpunkt des Beginns der Basis­ausbildung in verkürzter Dauer wie folgt zu absolvieren:

  • 6 Monate bei einem Beginn der Basisausbildung zwischen 1. Juni 2026 und 31. Mai 2027 

  • 9 Monate bei einem Beginn der Basisausbildung zwischen 1. Juni 2027 und 31. Mai 2028 

  • 12 Monate bei einem Beginn der Basisausbildung zwischen 1. Juni 2028 und 31. Mai 2029 

  • 15 Monate bei einem Beginn der Basisausbildung zwischen 1. Juni 2029 und 31. Mai 2030 

  • 18 Monate bei einem Beginn der Basisausbildung ab 1. Juni 2030


Gemäß § 260 ÄrzteG haben alle in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin stehenden Ärzte, deren Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin bis längstens 31. Mai 2026 begonnen hat, die Möglichkeit, entweder die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin abzuschließen oder in die fachärztliche Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und Familienmedizin überzutreten.

Einen wesentlichen Faktor werden die Rahmenbedingungen darstellen, unter welchen zukünftige Kollegen bereit sind, in der Allgemeinmedizin tätig zu sein. Zur Stärkung der Primärvesorgung müssen daher auch entsprechende Anpassungen vorgenommen werden. Das mantraartige Wiederholen der Schlagworte ist definitiv nicht ausreichend! Beispielsweise wären die Umsetzung der 4-Tage-Woche in der Praxis, der weitere Ausbau im Bereich der PVEs und eine entsprechende finanzielle Untermauerung erforderlich. Hier orte ich in letzter Zeit zunehmend „Rückzugstendenz“ und Einsparungswillen seitens der Systempartner, welcher nachvollziebar, aber in diesem Bereich absolut nicht angebracht ist. Laut ersten Informationen seitens der  Fachgesellschaften stößt der neue Facharzt für Allgemeinmedizin auf großes Interesse unter der Kollegenschaft, die ÖGAM zeigt sich zuversichtlich. Von den rund 5.400 hätten bisher knapp 15 % den Antrag auf Aufwertung zum neuen Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin gestellt, bestätigt die Österreichische Ärztekammer. Ob das nun frei nach William Shakespeare als „Ende gut, alles gut“ gilt, wird die Zukunft weisen.


Quellen:

• www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.714246&version=1391184552
• oegam.at/wp-content/uploads/2018/08/3_langversion_offiziell_mpam_basisdok_1.01.pdf
• www.aekooe.at/aerzteliste-aus-fortbildung/facharzt-fuer-allgemeinmedizin-familienmedizin


fotoS: zvg, istockphoto/ izusek, istockphoto/ JackF
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