Innovative Bechterew-Therapie

 

Wie multimodale Therapiekonzepte und digitales Selbstmanagement zur Verbesserung des klinischen Outcomes beitragen.

AUTOREN: Antje van der Zee-Neuen¹⁻², Sonja Wildburger¹⁻², Julia Fuchs¹⁻², Martina Neubauer³, Patrick-Pascal Strunz⁴, Maxime le Maire⁵, Tobias Heusinger⁵ & Univ.-Prof. Dr. Markus Ritter¹⁻² 

  1. Forschungsinstitut Gastein, Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Zentrum für Physiologie, Pathophysiologie und Biophysik, Paracelsus Medizinische Universität, Salzburg

  2. Ludwig Boltzmann Institut für Arthritis und Rehabilitation

  3. Österreichische Vereinigung Morbus Bechterew

  4. Medizinische Klinik II, Schwerpunkt Klinische Immunologie/Rheumatologie Uniklinikum Würzburg

  5. Medizinische Fakultät der Uni Würzburg

 

Die axiale Spondyloarthritis (axSpA) zählt mit einer Prävalenz von 0,5 % zu den häufigsten diagnostizierten rheumatischen Erkrankungen in Österreich und ist durch chronisch-entzündliche Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule gekennzeichnet. Es wird zwischen der nicht-röntgenologischen axialen Spondyloarthritis (nr-axSpA), die als Frühform der Erkrankung gilt, und der röntgenologischen axialen Spondyloarthritis (r-axSpA), welche im Volksmund unter dem mittlerweile veralteten Begriff „Morbus Bechterew“ bekannter ist, unterschieden. Tatsächlich spielt die Differenzierung in r-axSpA und nr-axSpA heutzutage (außerhalb von Studien) jedoch kaum noch eine Rolle. Der Erkrankungsbeginn ist meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Nach heutigem Stand sind Frauen und Männer gleichermaßen von der axSpA betroffen, wobei bei Männern die charakteristischen Verknöcherungen (Ankylosen) häufiger auftreten und sich die Diagnosestellung bei Frauen aufgrund der heterogeneren Symptomatik oft hinauszögert. 


Wie Selbsthilfe unterstützen kann

Neben der medikamentösen Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und/oder Biologika stellen die nicht-pharmakologischen Maßnahmen eine wesentliche Säule im Behandlungskonzept der axSpA dar. Hierzu zählt vor allem die Bewegungstherapie, basierend auf entsprechenden Patientenschulungen, Physiotherapie-Verordnungen und Rehabilitationsmaßnahmen. Eine regelmäßig durchgeführte Bewegungstherapie kann zu einer deutlichen Verbesserung der Mobilität beitragen und sollte unabhängig von medikamentösen Therapien angewendet werden. Gerade hierbei sind auch die Initiativen, wie sie von Selbsthilfegruppen wie der Österreichischen Vereinigung Morbus Bechterew (ÖVMB) organisiert werden, enorm förderlich, um den axSpA-Patienten in allen Lebenslagen Unterstützung sowie Austausch mit Gleichgesinnten zu ermöglichen und die nötige Gesundheitskompetenz zu forcieren, um so die eigene Erkrankung besser managen zu können. In den 47 Therapiegruppen der ÖVMB, welche über ganz Österreich verteilt sind, wird darüber hinaus ein Austausch mit medizinischem Fachpersonal wie Physiotherapeuten etc. ermöglicht. 


Studie zu Niedrigdosis-Radontherapie

Die traditionelle Niedrigdosis-Radontherapie, wie sie im Gasteiner Tal als Teil eines multimodalen Therapiekonzeptes angeboten wird, stellt seit jeher eine effektive Therapieoption für degenerative und inflammatorische Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates, sogenannte muskuloskelettale Erkrankungen, zu denen auch die axSpA gehört, dar. Um den langfristigen Effekt von multimodalen Therapiekonzepten inklusive des Kurmittels Radon zu erfassen, wurde vom Forschungsinstitut Gastein am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) Salzburg, das auch Teil des Ludwig Boltzmann Instituts für Arthritis und Rehabilitation ist, vor nunmehr acht Jahren eine Langzeitregisterstudie (registriert unter ISRCTN67336967; doi.org/10.1186/ ISRCTN67336967) initiiert. Ziel dieser Registerstudie ist es, die immer wieder von Ärzten geschilderten positiven Erfahrungen im Zusammenhang mit der Gasteiner Kur systematisch zu erfassen, sinnvoll in die bestehende Kur- und Rehabilitationspraxis einfließen zu lassen, evidenzbasiertes Wissen zu generieren und dies für Medizin und Wissenschaft zugänglich zu machen. 

Der Ablauf der Registerstudie erstreckt sich für den einzelnen Patienten über knapp zehn Monate und startet mit der Voruntersuchung zu Gesundheitsvorsorge Aktiv (GVA)-/Kur-/Reha-Beginn. Entscheidet sich der Patient, an der Registerstudie teilzunehmen, so erhält er zu fünf definierten Zeitpunkten ein für seine Erkrankung adaptiertes Fragebogenset. Dadurch können Daten zum Krankheitsverlauf nach einem stationären GVA-/Kur-/Reha-Aufenthalt im Gasteiner Tal über neun Monate hinweg gesammelt werden. An vier Zentren im Gasteiner Tal (Gasteiner Heilstollen, Gesundheitszentrum Alpentherme, Gesundheitszentrum Bärenhof und Stiftung Kurtherme Badehospiz) konnten seit der Initiierung der Registerstudie bereits über 1.700 Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen erfolgreich in die Registerstudie eingeschlossen werden. Rund ein Drittel der Patienten hat die Diagnose axSpA. 

Anhand dieser Registerdaten konnte bis dato für Patienten mit axSpA gezeigt werden, dass im Anschluss an einen durchschnittlich 3-wöchigen, stationären Therapieaufenthalt im Gasteiner Tal die Lebensqualität signifikant besser war als im Vergleich davor. Diese Verbesserung hielt bis zu neun Monate nach dem Therapieaufenthalt an.



Schmerzintensität signifikant verbessert

Ein ähnliches Bild zeigen auch die Berechnungen, die sich für die Intensität der berichteten Schmerzen in Ruhe und in Bewegung ergeben. Die gemessenen Schmerzwerte erzielten eine klinisch relevante Verbesserung bei axSpA-Patienten bis zu sechs Monate nach ihrem Aufenthalt im Gasteiner Tal (s. Abb. 1). 

 
 

Für die Krankheitsaktivität und Funktionalität, welche anhand der beiden Indizes BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index – ein Maß für die Krankheitsaktivität) und BASFI (Bath Ankylosing Spondylitis Functional Index – ein Maß für die Funktionseinschränkung) bewertet werden, konnte der Effekt des stationären Therapieaufenthalts im Gasteiner Tal abgebildet werden. Bis zu neun Monate nach der Therapie hält eine signifikante Verbesserung der Krankheitsaktivität an und bis zu sechs Monate eine Verbesserung der Funktionseinschränkung (s. Abb. 2). Zusammenfassend zeigen die Daten, dass sich durch einen stationären Aufenthalt mit multimodalem Therapiesetting inklusive Niedrigdosis-Radontherapieanwendungen die Lebensqualität, die Schmerzintensität sowie die Krankheitsaktivität und Funktionseinschränkung bei axSpA-Patienten klinisch relevant und signifikant verbessern. Weiters konnte durch diese Registerstudie erstmals die klinische Wirksamkeit systematisch anhand einer Real-World-Data Kohorte erfasst werden und die Ergebnisse, die in früheren kontrollierten, klinischen Studiensettings zur Wirksamkeit der Niedrigdosis-Radontherapieanwendungen gesammelt wurden, bestätigt werden.

 
 

Bewegungsroutinen integrieren

Neben der Inanspruchnahme von GVA-/Kur- und Rehabilitationsmaßnahmen ist es entscheidend, dass es dem Patienten gelingt, auch nach dem Ende von Kur bzw. Reha Bewegungsroutinen in den eigenen Alltag zu integrieren. Hier können App-basierte Interventionen, wie AXIA – die Bechterew App (s. Abb. 3), positiv unterstützen. 

 
 

AXIA wurde zusammen mit der Universitätsklinik Würzburg sowie der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V. entwickelt und erhielt im Jahr 2023 die CE-Kennzeichnung zum Medizinprodukt. Die App verfolgt das primäre Ziel, axSpA-Patienten zu der für sie essenziellen Bewegungstherapie anzuleiten und zu motivieren.

Zentraler Bestandteil sind individuell konfigurierbare „Bewegungsroutinen“, mit denen die Patienten Sport und Bewegung „wie von selbst“ in den Alltag integrieren können. So können Patienten zum Beispiel die Routine aufbauen, während des Zähneputzens eine Dehnübung zu machen oder direkt nach dem Aufwachen drei einfache Übungen gegen die Morgensteifigkeit durchzuführen. Sehr beliebt ist auch die Routine, während des täglichen Kaffeekochens zwei kurze Übungen eigenständig oder unter videobasierter Anleitung durchzuführen. Neben den Routinen bietet AXIA klassische Gymnastikprogramme mit ausgewählten Übungen, welche stadiengerecht auf die Bedürfnisse des individuellen Patienten abgestimmt sind. Sogenannte „Intensivprogramme“, bei denen der Nutzer darüber hinaus auch ausdauertechnisch gefordert wird, ergänzen das Therapiekonzept. 

Auch bei akuten Schmerzspitzen bietet AXIA den Patienten schnelle Hilfe: Bei Morgensteifigkeit oder akuten Schmerzen hält die App sanfte, beschwerdelindernde Mobilisationsübungen bereit, die genau auf die vom Patienten ausgewählten Schmerzbereiche abgestimmt sind.




Umfassende Patientenedukation

Da die Vorlieben der Patienten variieren, motiviert AXIA auch zur Durchführung individueller Aktivitäten wie Radfahren oder Schwimmen, integriert Fitnesstracker und dokumentiert Physiotherapie- oder Gruppentherapien. Ein Punktesystem fördert Motivation und Aktivität: Für jede Bewegungsaktivität erhält der Patient Punkte, welche auf seinem „Bewegungstank“ addiert werden. Regelmäßige Bewegung hält den „Bewegungstank“ im grünen Bereich, während Inaktivität zum Absinken in den gelben oder roten Bereich führt. Passiert Letzteres, wird der Patient durch Benachrichtigungen und weitere Gamification-Elemente motiviert, wieder vermehrt Bewegung durchzuführen. Zusätzliche Maßnahmen wie das Aufbauen einer „Erfolgsserie“, Meilensteine und das App-eigene Maskottchen „Bechto“ komplettieren das umfangreiche Motivationskonzept der App.

AXIA bietet zudem umfassende Patientenedukation: Über 50 interaktive Lerneinheiten vermitteln Wissen zu axSpA, Begleiterscheinungen, Alltagstipps und Ernährung. Funktionen wie Symptomerfassung, Medikamententracker und Entspannungsübungen runden das Angebot ab und schaffen ein effektives, digitales Unterstützungssystem für Patienten.

Aktuell wird die Wirksamkeit der AXIA-App in einer großen Studie an der rheumatologischen Fachabteilung der Universitätsklinik Würzburg untersucht. Eine Erhebung nach acht Wochen unter 60 Studienteilnehmern konnte bereits zeigen, dass sich sowohl Krankheitsaktivität, Funktionseinschränkungen als auch die Lebensqualität bei App-Nutzern signifikant und klinisch relevant verbesserten, während sich in der Kontrollgruppe (ohne App) keine Änderungen zeigten. Sofern sich diese Ergebnisse im Laufe der kommenden Monate bestätigen, könnte AXIA ab Ende 2025 in Deutschland als sogenannte „Digitale Gesundheitsanwendung“ (DiGA) Einzug in die deutsche – und ab 2026 auch in die österreichische – Regelversorgung halten. Dies würde bedeuten, dass AXIA den Betroffenen vom Arzt „wie ein Medikament“ verschrieben werden kann und die anfallenden Kosten von allen gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. 

Auf diese sehr gelungene App- Anwendung – als Ergänzung zu den bestehenden Konzepten – wurde auch die ÖVMB aufmerksam. Als Vorreiter in Sachen Gesundheitskompetenz wurde im vergangenen Jahr die ÖVMB aktiv und startete mit der AXIA-App ein Forschungsvorhaben. Seit Anfang 2024, zum 40. Jahrestag der ÖVMB, läuft das Forschungsprojekt AXIA – die Bechterew-App. Mit bereits über 450 Installationen wird die Nutzung der App von den Betroffenen sehr gut angenommen. Eine erste Umfrage zur App-Nutzung und -Erfahrung unter den ÖVMB-Mitgliedern, welche dieses Forschungsprojekt aktiv unterstützen, wurde im Juli 2024 durchgeführt. Unter den Befragten waren 63 % Frauen und 37 % Männer, das Durchschnittsalter betrug 55 Jahre. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, die AXIA-App seit mehr als drei Monaten zu nutzen. Ein Drittel der Befragten nutzte die App bereits seit zwei bis drei Monaten und nur 12 % verwendeten die App kürzer als zwei Monate. Zur Häufigkeit der AXIA-App-Nutzung gaben 56 % der Befragten an, diese mindestens 6x/Woche bis mehrmals täglich für ihre Routinen zu verwenden. 29 % nutzten die App 3-5x/Woche und nur 15 % gaben an, 2x/Woche oder seltener mit der App zu üben (s. Abb. 4). 80 % der Befragten gaben an, durch die Nutzung von AXIA, einen angemessenen bis ausgezeichneten Effekt in Bezug auf ihre Beweglichkeit zu spüren. Und auch hinsichtlich ihrer Schmerzen gaben 58 % der Befragten einen angemessenen bis ausgezeichneten Effekt an. 

 
 

App begleitet auf dem Weg

Die Auswertung dieser ersten Umfrage unter den ÖVMB-Mitgliedern zum AXIA-Forschungsprojekt spiegelt die Ergebnisse, die in der derzeit laufenden Wirksamkeitsstudie des Universitätsklinikums Würzburg erzielt werden konnten, sehr gut wider. Diese Ergebnisse und das Engagement der ÖVMB zeigen, dass Patienten-Apps sehr gute Dienste in der Bewegungstherapie leisten können und die große Akzeptanz spiegelt auch den Bedarf nach digitalen Ergänzungen der multimodalen Therapien im gesundheitlichen Selbstmanagement der Patienten wider. 

So beschreibt es die Vizepräsidentin der ÖVMB Martina Neubauer sehr treffend: „Nach absolvierter GVA/Kur/Reha fallen viele Patienten in ein tiefes Loch der Unsicherheit. Wie sollen die gelernten Therapien in den Alltag einfließen? Hier ist die App ein gelungenes Tool für alle Betroffenen. Nach der Therapie im Gasteinertal kann mithilfe von AXIA die Bewegungstherapie fortgeführt werden, das Wissen aufgefrischt oder erweitert werden und die Entspannung ist auch gewährleistet. Hier haben wir ein Tool in die Hand bekommen, das den Bewegungslevel zwischen den Kuraufenthalten nicht so stark absinken lässt. Es bleibt trotzdem für Viele eine Herausforderung, mit Schmerzen und Müdigkeit die täglichen Übungen zu machen. Doch der Weg ist das Ziel und somit die Steigerung des Bewegungslevels. Die ÖVMB bietet mit ihren 47 Therapiegruppen in Österreich für viele eine Möglichkeit der Bewegung und des Austausches an, doch leider können dies nicht alle nutzen. Wir würden uns wünschen, dass die AXIA-App als nützliches Tool in der Therapie von Morbus Bechterew/axialer Spondyloarthritis in Zukunft von den Versicherungen übernommen wird.“

Entsprechend dem demografischen Wandel sind wir im Bereich Prävention und Therapie immer mehr auf die Förderung der Gesundheitskompetenz jedes Einzelnen sowie die Ergänzung durch digitale Lösungen angewiesen, wenngleich diese niemals den direkten Austausch mit Ärzten und Therapeuten sowie die GVA/Kur oder Reha-Aufenthalte ersetzen können. Dennoch: Gerade im Bereich der evidenzbasierten Medizin ist es für die Schaffung von wirksamen Behandlungsstrategien sehr wichtig, dass der Austausch von Medizinern, Therapeuten, Forschenden und Patienten forciert wird. So kann einerseits die Wirksamkeit von Maßnahmen wissenschaftlich untermauert, die Bedürfnisse von Patienten berücksichtigt und die Erfahrung der Mediziner und Therapeuten optimal genutzt werden. Dieser Schulterschluss ist auch den Akteuren der Universitätsklinik Würzburg, der ÖVMB und dem Forschungsinstitut Gastein gelungen, welche bereits beim aktuellen AXIA-Projekt in einem engen Erfahrungsaustausch sind und zukünftig die Bearbeitung von gemeinsamen Projekten planen. Denn nur wenn Brücken geschlagen werden, können die Herausforderungen der aktuellen Situation im Gesundheitssektor gemeistert und so das Beste für die Patienten erreicht werden.


Foto: zvg, istockphoto/ Thomas Demarczyk
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Wissenschaftliche Kooperation ausgebaut

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„Schulmedizin versus balneologische Wissenschaft“