„One-Size-fits-all“-Methode ist „out“

Maßgeschneiderte Behandlungen führen zu besseren Behandlungsergebnissen. Unterstützt wird das unter anderem von der Pharmakogenetik, einer spezialisierten Disziplin innerhalb der Genetik, die erforscht, wie Gene die Reaktion auf Medikamente beeinflussen.



AUTOR: Priv.-Doz. DDr. Stefan Wöhrer

Facharzt für Innere Medizin, Onkologie & Hämatologie, www.permedio.at

www.permedio.at


Die Pharmakogenetik ermöglicht eine maßgeschneiderte Therapie, die auf den genetischen Eigenschaften des Patienten basiert. Durch pharmakogenetische Tests kann im Vorfeld ermittelt werden, welche Patienten von bestimmten Medikamenten profitieren und welche ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen haben.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist die pharmakogenetische Testung bei der Verordnung von Clopidogrel, einem Medikament zur Blutverdünnung nach Herzinfarkten und Schlaganfällen. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einer bestimmten genetischen Veränderung (CYP2C19 Polymorphismus) schlechter auf Clopidogrel ansprechen.

Diese genetische Veränderung tritt bei etwa 20 % der Europäer auf. Patienten mit dieser genetischen Variante haben ein um 22 % höheres absolutes Risiko, erneut einen Herzinfarkt zu erleiden oder zu versterben, wenn sie mit Clopidogrel behandelt werden. Wird hingegen ein alternatives Medikament wie Ticagrelor oder Prasugrel verabreicht, kann das Risiko auf das Niveau von Patienten ohne die genetische Veränderung gesenkt werden.

Nebenwirkungen als Herausforderung

Die Nebenwirkungen von Medikamenten stellen ein erhebliches Risiko in der Medizin dar: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind die vierthäufigste Todesur­sache in der westlichen Welt. Jede vierte Krankenhausaufnahme wird durch unerwünschte Arzneimittelreaktionen verursacht, ein Umstand, der die Notwendigkeit einer präziseren und individuell angepassten Medikation unter­streicht.

Die traditionelle „One-Size-fits-all“-Methode führt häufig zu suboptimalen Ergebnissen, da Medikamente nicht auf die genetischen Besonderheiten des einzelnen Patienten abgestimmt sind.

Die Bedeutung der Pharmakogenetik wurde in einer umfangreichen Studie, die im Fachjournal The Lancet veröffentlicht wurde, eindrucksvoll belegt. Diese weltweit größte und erste randomisierte Studie zur Pharmakogenetik zeigt, dass Gentest-adaptierte Therapien eine beeindruckende Reduzierung schwerwiegender Nebenwirkungen um 30 % im Vergleich zur Standarddosis bewirken.

Die Studie unterstreicht zudem die Vielseitigkeit und Wirksamkeit dieser personalisierten Ansätze über verschiedene medizinische Indikationen hinweg, darunter Onkologie, Kardiologie und Psychiatrie.

Keine Zukunftsmusik, sondern Realität

Das Konzept der Pharmakogenetik existiert schon seit 1962 und wurde vom Pharmakologen Dr. Werner Kalow geprägt. Damals war es nur eine Beobachtung, dass Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Medikamenten von den Genen abhängen. Die ersten tatsächlichen genetischen Testungen für einzelne Genabschnitte fanden rund zehn Jahre später statt. So richtig an Fahrt hat die Pharmakogenetik aber erst 2015 aufgenommen, als in den USA von Barack Obama die „Precision Medicine Initiative“ ins Leben gerufen wurde.

In deren Rahmen wurde die PharmGKB Datenbank gegründet, die heute die Grundlage für die pharmakogenetische Testung bildet. Permedio, eine Gruppenpraxis für Innere Medizin, hat 2015 mit den ersten genetischen Testungen in diesem Bereich begonnen und ist 2017 mit dem Permedio MedikamenteCheck auf den Markt gegangen.

Die Pharmakogenetik ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Der Fortschritt in der genetischen Forschung und der Technologie hat dazu geführt, dass pharmakogenetische Tests für jeden verfügbar sind. Bei immer mehr Medikamenten ist es mittlerweile sogar verpflichtend, vor Therapiebeginn einen pharmakogenetischen Test durchzuführen, wie etwa bei Capecitabin, Abacavir, Mavacamten oder Siponimod.

Bei anderen Medikamenten wird eine pharmakogenetische Testung empfohlen, wie bei Clopidogrel, Statinen oder bestimmten Antidepressiva. Wenn jeder Österreicher einen pharmakogenetischen Test machen würde, könnten jährlich rund 100.000 Spitalsaufenthalte vermieden und dadurch 500 Millionen Euro eingespart werden.

Medikamenten-Check in der ärztlichen Praxis

Die Einführung der Pharmakogenetik in den klinischen Alltag kann die Therapieergebnisse und die Patientensicherheit erheblich verbessern. Mehr als 200 Ärzte nutzen bereits den MedikamenteCheck und profitieren von den Vorteilen der Pharmakogenetik. Er bietet eine umfassende pharmakogenetische Analyse, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und alle in Österreich zugelassenen Medikamente abdeckt.

Die zugrundeliegenden Datenbanken werden alle vier Monate aktualisiert, um stets die aktuellsten Informationen zu gewährleisten. Die Gentests werden in Österreich in Neunkirchen durchgeführt und die Daten sind auf einem Server mit höchsten Sicherheitsstandards geschützt.

Basierend auf modernster Microarray-Technologie liefert der Test präzise Informationen darüber, welche Medikamente für bestimmte Patienten genetisch geeignet sind und welche potenziell problematisch sein könnten. Dies ermög­licht den Behandlern, die Therapie individuell und sicher zu gestalten, was die Behandlungseffektivität steigert und das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen reduziert.

Die Anwendung ist einfach: Zu Beginn erfolgt die Einwilligung des Patienten zur Durchführung des Gentests. Dieser Schritt ist essenziell, um die rechtlichen und ethischen Grundlagen zu sichern. Dann kann der Gentest entweder durch einen einfachen Speicheltest oder eine Blutabnahme durchgeführt werden. Die entnommene Probe wird entweder per Post verschickt oder von einem Fahrservice durch einen Laborpartner abgeholt. Innerhalb von drei bis vier Wochen stehen die Testergebnisse in einem Online-Account zur Verfügung.

Der behandelnde Arzt hat direkten Zugang zu den Ergebnissen und kann auf einen Blick sehen, welche Medikamente basierend auf der Genetik des Patienten geeignet sind und welche nicht. Falls ein Medikament nicht geeignet sein sollte, dann werden Vorschläge zur Dosisanpassung oder zu alternativen Medikamenten gemacht.


FOTOS: WIELAND, ISTOCKPHOTO/ DRAFTER123
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Rehabilitation nach Majoramputation an der oberen Extremität

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