Reisen am Limit
Aktuelle Reisetrends zeigen: Die Urlaubsaktivitäten werden extremer und ausgefallener. Wie können Reisende dafür aus medizinischer Sicht adäquat vorbereitet werden?
AUTOR: Dr. Bernhard Haberfellner
Facharzt für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, Fachgruppenverteter ÄK OÖ, Fliegerärztlicher Sachverständiger (Cl. 1&2), Taucherarzt (IIa), Alpin- & Höhenmedizin/Expeditionsarzt, Praxis für Allgemeinmedizin, Notarzt
Die reisemedizinische Beratung zielt auf eine möglichst umfassende Risikominimierung ab. Zu den „Hochrisikoreisenden“ zählen nicht nur Tumorpatienten, die sich im terminalen Stadium noch einmal für eine Kreuzschifffahrt entscheiden, sondern beispielsweise auch der Morbus-Parkinson-Betroffene, der sich den Traum einer Dschungeltour am Amazonas erfüllt, oder der Triathlet, der sich in den entlegensten Gebieten mit anderen Gleichgesinnten misst und Urwaldflüsse im Südpazifik durchschwimmt. Aber auch Profisportler zeigen, um neue Werbeaufträge zu lukrieren, eine zunehmend außerordentliche Risikobereitschaft – so wie der Bergsteiger, der unerwartet tagelang unterkühlt und dehydriert in seinem Zelt verharren muss, weil das Wetter weder einen Aufstieg noch Abstieg möglich macht. Auch eine Exazerbation in entlegenen und medizinisch unterversorgten Gebieten kann fatal enden.
An den „Reverse Culture Shock“ ist vor allem nach extremen und längeren Reisen auf jeden Fall zu denken. Reisen am Limit beginnt oft sehr banal beim Piloten, der unter Migräneattacken leidet oder aufgrund eines Unwetters Flugangst entwickelt, beim Passagier, der aufgrund seines Verhaltens zum „Unruly Passenger“ wird und den Flug gefährdet. Unerwartete Zwischenfälle während eines Fluges können für alle Beteiligten schnell äußerst herausfordernd werden. Aktuell besonders in den Medien: Naturgewalten, die meist grob unterschätzt werden und so können „Sturmparties“ sehr abrupt in Katastrophenszenarien enden.
Gift, Durchfall und falsche Medikamente
Bisse, Vergiftungen, Verbrennungen, Hitzschlag und Ertrinken sind häufig („true incidence rate of risk“). Bei den Nahrungsgiften unterscheidet man Tiere, die an sich giftig sind, wie der Kugelfisch, und Tiere, die giftig werden. Das sind Raubfische, die am Ende der Nahrungsmittelkette stehen. Eine relativ häufige Fischvergiftung stellt Ciguatera dar: Typisch dafür sind ein metallischer Geschmack und ein umgekehrtes Warm-Kalt-Empfinden. Am häufigsten bei Badeurlaubern kommt es zu Nesselverletzungen: Durch die Reizung einer Qualle kommt es zum Abschießen eines Mini-Stilets und dadurch zum Injizieren von Gift. Wichtig für die Reisenden ist die Aufklärung, dass Verunfallte nie mit Süßwasser abzuwaschen sind, da diese Maßnahme eine anaphylaktische Reaktion auslösen kann.
Durchfälle sind aufgrund mangelnder Hygiene oder ungewohnter Essgewohnheiten und Nahrungsmittel sehr häufig, hier sind therapeutisch vor allem Flüssigkeit und Elektrolyte wichtig. Zu beachten sind bei Antibiosen die sehr unterschiedlich ausgeprägten Resistenzsituationen.
Medikamentenfälschungen in fremden Ländern sind häufig und können oft fatale Folgen haben. Für den Fall, dass sich bei der Einnahme von (unbekannten) Medikamenten die Beschwerden verschlechtern, sollte eine Notfallstrategie vorliegen. Dazu gehören wichtige Adressen medizinischer Anlaufstellen am Reiseziel, bei chronischen Erkrankungen und längeren Aufenthalten im Ausland kann auch ein kurzer Infobrief in Landessprache hilfreich sein. Vorab zu klären ist, welche medizinische Versorgung vor Ort zu erwarten ist, aber auch die passenden Versicherungen, die vor Ort helfen und im Notfall einen Transport „medizinisch sinnvoll und vertretbar“ bieten.
Tipps für Mediziner
Bei Schwierigkeiten lohnt es sich immer, sich kurz zurückzunehmen und zu überlegen, wie man die Ausgangsbedingungen optimieren könnte. Das heißt etwa, bei einer schwierigen Intubation eine Jacke unter dem Patienten zusammenrollen. Besonders in den Tropen sollte man neben Ruhe für ausreichende Wärme des Notfallpatienten sorgen: Den Helfern ist in der Hitze des Gefechtes das rasche Auskühlen mit den damit verbundenen Komplikationen, wie etwa Problemen bei der Blutgerinnung, oft nicht bewusst. Ganz besonders sollte an eine Kontrolle des Blutzuckers denken, standardmäßig mit dem Legen des Venflon, insbesondere bei jeder Art von Verwirrung.
Gerade in entlegenen Regionen ist eine gute Vorausplanung essenziell für das Outcome des Patienten, denn oft ist eine weitere adäquate Versorgung in einem Krankenhaus dann nicht gewährleistet.
Schlangenbiss: Oft einfach vermeidbar
Wichtiger Tipp für Reisende: nicht blindlings irgendwo hineingreifen. An diese Regel hat sich praktisch keiner meiner Patienten mit Bissen gehalten, denn meist passieren Schlangenbisse bei banalen Tätigkeiten, wie Feuerholz suchen oder beim Zeitungholen aus dem Briefkasten. Vorsicht ist vor allem nach starken Regenfällen und in der Dämmerung geboten – man sollte hier immer mit einer Lampe unterwegs sein. Falls ein Schlangenbiss passiert: Zytokine können zu starken Gewebsnekrosen und Schwellungen führen, die eventuell eine Fasziotomie notwendig machen. Nie sollte man ein Tourniquet anbringen oder an der Bissstelle eine Inzision durchführen, ebenso wenig Absaugen oder Auftragen von Salben, Pasten, Kräutern. Sinnvoll ist ein ruhiger Rückzug, möglichst die Schlange identifizieren (fotografieren) und auch hier gilt: Ruhe und Wärme. Danach die betroffene Extremität hochlagern und immobilisieren. Ringe, Armbänder, Uhren rasch entfernen und Betroffene extrem vorsichtig in ein Krankenhaus transportieren. Das Mitführen von Immunseren ist in der Regel irreal. Gleiches gilt auch für Tollwut: Auch hier ist meist nach einem Biss kein Zugang zu Impfstoffen selbstverständlich. Sehr häufig treten bei Tropenrückkehrern und Touristen in den Tropen die Ektoparasitosen, wie die Fliegenmadenerkrankung Myiasis, der Hautmaulwurf Larva migrans cutanea oder die durch Sandflöhe verursachte Tungiasis auf. Bei der unter sterilen Verhältnissen durchgeführten Exstirpation sollte immer auf einen ausreichenden Tetanusimpfschutz geachtet werden.
FOTOS: ZVG, ISTOCKPHOTO/ LITTLEHENRABI