„Übernehmen – anwenden – erfolgreich sein“
Die Österreichische Ärztekammer stellt mit ihrem „Regierungsprogramm“ ein Patentrezept zur Rettung des solidarischen Gesundheits- systems vor.
Vor wenigen Tagen wurden bei der Nationalratswahl die politischen Weichen für die kommenden Jahre gestellt. „Die aktuellen Baustellen im Gesundheitssystem sind groß, sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Spitälern muss dringend gehandelt werden, um den derzeitigen Abwärtstrend zu stoppen“, sagt Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, bei der Präsentation eines Empfehlungs- und Forderungskatalogs der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK).
„Ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem ist eine Bringschuld der Politik. Unsere Vorschläge und Forderungen zeigen, wie diese Bringschuld eingelöst werden kann“, so der ÖÄK-Präsident. „Dabei geht es in erster Linie um die Absicherung einer guten Gesundheitsversorgung für alle – und nicht nur für jene, die über ausreichende finanzielle Möglichkeiten verfügen.“ Aus Sicht der Ärztevertretung sollten einige Zielsetzungen einer zukunftsorientierten und der Patientenversorgung verpflichteten solidarischen Gesundheitspolitik sein, dass
• die Gesundheitsversorgung aller Bürger nicht nur erhalten bleibt, sondern gemäß den demografischen Entwicklungen und dem medizinischen Fortschritt weiter ausgebaut wird.
• den Patienten sowohl im niedergelassenen kassenärztlichen Bereich als auch in den Krankenhäusern ausreichend viele gut ausgebildete Ärzte zur Verfügung stehen.
• die Wartezeiten auf Arzt- und OP-Termine kürzer werden.
• Menschen in Gesundheitsberufen mehr Zeit für Patienten bleibt.
• der Arztberuf als freier Beruf erhalten bleibt.
• ausreichend Ärzte zur Verfügung stehen, die in heimischen öffentlichen Spitälern und Kassenpraxen arbeiten.
Finanzmittel kommen nicht an
„Mit Verboten, Zwangsmaßnahmen und der Auslagerung von Leistungen an immer noch geringer qualifizierte Berufsgruppen macht es sich die Politik zu leicht. Es wird ein harter und anstrengender Weg sein, das Kassensystem nach den Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre wieder auf einen Erfolgskurs zu führen“, betont Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Mit den 300 Millionen Euro aus dem Finanzausgleich sieht er das Problem nicht gelöst. „Von dem Finanztopf merken wir im niedergelassenen Bereich überhaupt nichts, es wurde damit keine einzige neue Leistung geschaffen, wir haben immer noch fast 300 offene Kassenstellen.“
Zur Entlastung der aktuellen Strukturen und damit des Gesundheitssystems ist eine stärkere Lenkung der Patienten unumgänglich. „Diese müssen über den Weg durch das System klar informiert werden“, fordert Wutscher. Dazu bedarf es primär Anreizsysteme für die Einhaltung der vorgesehenen Versorgungspyramide. „Der Weg durch das System muss für Patienten logisch nachvollziehbar und klar sein: zuerst zum niedergelassenen Allgemeinmediziner, dann zum niedergelassenen Facharzt und erst dann in die Spitalsambulanz oder weiter in eine stationäre Spitalsbehandlung. Das Ziel muss sein, die Strukturen so auszubauen, dass jeder Patient einen Arzt des Vertrauens als zentralen Ansprechpartner im Gesundheitssystem benennen kann“, sagt Wutscher.
Voraussetzung dafür ist die Stärkung des niedergelassenen Bereichs, etwa durch Flexibilisierung der Kassenverträge. Dazu zähle neben der Etablierung eines neuen, einheitlichen Leistungskatalogs im niedergelassenen Bereich eine leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, etwa durch lebensphasengerechte Vertragsmodelle. Zudem müsste die Zuwendungsmedizin erweitert und die leistungsfeindlichen und realitätsfremden Deckelungen und Degressionen müssten abgeschafft werden. Wutscher spricht sich auch gegen die Einführung eines leistungshemmenden Pauschalierungssystems und gegen berufliche Einschränkungen oder Zwangsvorgaben für Wahlärzte aus.
„PVE light“ verbessert Versorgung
Wutscher will im niedergelassenen Bereich eine breite Palette ärztlicher Angebote, denn nicht jedes Modell ist für jedes Gebiet gleich gut geeignet. Neben Einzelordinationen sollten Gruppenpraxen, Karenz-/Teilzeitmodelle, Jobsharing, Primärversorgungszentren und -netzwerke nebeneinander bestehen. „Es ist deshalb wünschenswert, dass im Sinne einer bestmöglichen Patientenversorgung auch Einzel- und Gruppenpraxen zusätzliches nicht-ärztliches Personal finanziert bekommen, etwa diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal, Sozialarbeiter oder Psychologen. Das wäre ein wichtiger weiterer Schritt in Richtung einer niedrigschwelligen, wohnortnahen und multiprofessionellen Primärversorgung unter ärztlicher Leitung“, so Wutscher.
Gleichzeitig zum Ärztemangel im öffentlichen System, den es mit den erwähnten Maßnahmen zu bekämpfen gelte, gebe es aber auch innerhalb der Ärzteschaft einen Mangel, der extern kaum beachtet werde und schwer wiege, betont Dr. Rudolf Knapp, stellvertretender Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte: „Das Interesse, Primararzt zu werden, sinkt rapide. Diesen Umstand kompensieren die Spitalsträger mit Doppelt- oder Dreifach-Primariaten, um Engpässe zu verschleiern. Wir haben nicht nur das Problem, dass wir es kaum schaffen, ausreichend Jungärzte im Land zu halten, es möchte auch eigentlich niemand mehr im Spital Karriere machen, sondern so schnell wie möglich das öffentliche Gesundheitssystem verlassen. Wenn wir jetzt nicht auch hier schnell umdenken, droht dem Führungssystem auf Kosten der Versorgung der Kollaps.“ Zudem ist für Knapp ein wesentlicher Faktor Zeit für die direkte Weitergabe von Berufserfahrung und Expertise an die jungen Kollegen im Rahmen von Tutorien. „Nur wenn dafür Zeit geschaffen wird, werden wir auch künftig unsere Primariate wieder leichter und besser besetzen können“, sagte Knapp.
Digitalisierung – aber richtig
Um Ärzte generell zu entlasten, fordert die Österreichische Ärztekammer auch eine umfassende, funktionierende Digitalisierungsoffensive mit Investitionen in die nationale Gesundheitstelematik-Infrastruktur in Form einer E-Health-Milliarde. „Alles, was im Spital nicht mehr analog gemacht werden muss, sondern automatisch und digital erledigt werden kann, entlastet uns Ärzte“, sagte Knapp. „In den meisten unserer Spitäler erfüllt die IT aber nicht das, das wir uns erwarten. Wir stehen gerne mit unserer Expertise bereit, um Digitalisierung zu pushen. Dazu gehört auch die digitale Vernetzung von extra- und intramuralem Bereich.“
Abschließend fordert die ÖÄK eine EU-weite Quote von Mindeststudienplätzen pro EU-Mitgliedsstaat. Außerdem sollen künftig nur jene EU-Bürger einen Studienplatz in Österreich erhalten, die auch in ihrem Heimatland Zugang zu einem Studienplatz hätten.
rh
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