Geschlechterspezifische Unterschiede in der Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen

 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen die weltweit häufigste Todesursache dar. Das gilt für Männer über 45 und Frauen über 65 gleichermaßen, wobei gerade Frauen ihr eigenes Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung als weit geringer einschätzen.

Autor: Prim. Dr. Robert Hatschenberger 

Ärztlicher Direktor Klinikum Bad Hall, Klinikum Austria – Die Gesundheitsgruppe
office@klinikum-austria.at

 

Die stationäre Rehabilitation ist als effektive Maßnahme zur Verbesserung der Prognose nach einem Herz-Kreislauf-Ereignis anerkannt. Sie ist bereits seit Jahrzehnten wesentlicher Bestandteil der Behandlung und Sekundärprävention nach kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder nach einer Bypass-Operation. Studien zeigen jedoch deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Teilnahme, Behandlung und den Ergebnissen zwischen Männern und Frauen. Bereits bei der Zuweisung zur Herz-Kreislauf-Rehabilitation ist ein Gap zwischen den Geschlechtern ersichtlich.

Pathophysiologische Unterschiede

Frauen und Männer unterscheiden sich in der Pathophysiologie kardiovaskulärer Erkrankungen. So entwickeln Frauen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Durchschnitt zehn Jahre später als Männer, häufig infolge hormoneller Schutzmechanismen. Diese nehmen in der der Menopause ab. Männer sind in jüngeren Jahren häufiger betroffen als Frauen, was auf ungesündere Lebensstile, Risikoverhalten und genetische Prädispositionen zurückzuführen ist. Frauen leiden zusätzlich häufiger an mikrovaskulären Erkrankungen oder Koronarer Mikrovaskulärer Dysfunktion (CMD), bei der die kleinen Blutgefäße betroffen sind. Diese wird in der konventionellen Diagnostik oft übersehen. Bei Männern dominiert die obstruktive Koronararterienerkrankung (CAD) mit klar sichtbaren Verengungen der großen Herzkranzgefäße.

Risikofaktoren

In der Gesundheitskommunikation werden das Risiko und die Risikofaktoren von Frauen für kardiovaskuläre Erkrankungen im Vergleich zu Männern wenig thematisiert. Durch einen historisch begründeten Mangel an genderspezifischer Forschung sind auch behandelnde Ärzte von einer verzerrten Wahrnehmung betroffen. Während die klassischen Risikofaktoren und Symptome des männlichen Herzinfarkts weit verbreitet sind, zeigen Frauen häufig atypische Symptome wie Atemnot, Müdigkeit und Übelkeit, die zu einer späteren Diagnose und damit zu einer verzögerten Behandlung führen können. Diese Unterschiede erfordern auch in der Rehabilitationsphase eine angepasste Diagnostik und Therapie. 

Psychosoziale Faktoren 

Psychosoziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern beeinflussen die Teilnahme und den Erfolg der Rehabilitation bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Frauen berichten eher von Depressionen und Angstzuständen nach einem kardiovaskulären Ereignis, was ihre Motivation zur Teilnahme an Reha-Programmen mindern kann. Zusätzlich sind sie durch berufliche und familiäre Verpflichtungen doppelt belastet, wie die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen. Diese Verantwortlichkeiten sind typische Hinderungsgründe von Frauen, an Programmen teilzunehmen.

Bei Männern hingegen spielen psychische Belastungen durch beruflichen Stress eine große Rolle. Im Gegensatz zu Frauen bestehen Barrieren, was die Äußerung von Belastungsfaktoren und gesundheitlichen Problemen generell betrifft. Im Gegensatz zu Frauen benötigen Männer oft stärkere Motivation, ihr Verhalten langfristig zu ändern. 

Rehabilitationsmedizinische Faktoren

Rehabilitationsprogramme, auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, basieren häufig auf Studien, die primär männliche Teilnehmer einbezogen haben. Das führt dazu, dass Frauen in bestehenden Programmen unterrepräsentiert sind und ihre spezifischen Bedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt werden. Frauen wie Männer profitieren deswegen besonders von individuell angepassten Programmen, die auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit und psychosozialen Bedürfnisse abgestimmt sind.

Unterschiede in der Medikation

Frauen reagieren oft sensibler auf bestimmte Medikamente wie Statine oder Betablocker. Nebenwirkungen treten bei Frauen häufiger auf, was die Adhärenz beeinflussen kann. Bei Männern sind die Effekte von Medikamenten oft stabiler, aber es besteht die Notwendigkeit, Risikoverhalten auch vor dem Hintergrund von Wechselwirkungen konsequent zu überwachen.

Unterschiede in den körperlichen Trainingsprogrammen

Frauen sprechen oft besser auf moderates kontinuierliches Training an. Was körperliches Training im HIIT-Bereich angeht, weisen Frauen noch immer ein geringeres Selbstwertgefühl und weniger Vertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit auf, was bei der Erreichung von Reha-Zielen und der Integration in den Alltag hinderlich sein kann. Zudem ist es aufgrund familiärer Verpflichtungen für Frauen oft schwieriger, einen nachhaltigen Trainingserfolg beizubehalten. Männer zeigen bessere Ergebnisse bei hochintensivem Intervalltraining HIIT, das die maximale Leistungsfähigkeit steigert.

Fazit

Die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Herz-Kreislauf-Rehabilitation ist essenziell, um die Versorgung von Frauen zu verbessern und geschlechterübergreifend ähnliche Ergebnisse zu erzielen. Durch individualisierte Ansätze, die biologische, psychosoziale Unterschiede einbeziehen, können die Effektivität der Herz-Kreislauf-Rehabilitation gesteigert und die langfristige Prognose für alle Patienten verbessert werden.

 

Empfehlungen für eine gendersensible Herz-Kreislauf-Rehabilitation 

  • Zugang, Aufklärung, Information & Schulung: Frauen benötigen spezifische Aufklärungsmaterialien, die sie über die Vorteile der Herz-Kreislauf-Rehabilitation informieren. Diese sollten sowohl auf die spezifischen Risikofaktoren als auch Bedenken und Barrieren eingehen. Auch die Informationsmaterialien, die während der Reha zu Schulungszwecken verteilt werden, sollten auf geschlechtsspezifische Faktoren Rücksicht nehmen. Frauen haben sowohl, was Lebensstiländerungen als auch was das Stressmanagement angeht, spezifische Erfordernisse.

  • Individualisierte & multimodale Programme: Rehabilitationsprogramme sollten flexibel genug sein, um die Trainingsintensität und Trainingsart je nach Geschlecht und Möglichkeiten zu adaptieren. Programme sollten Rücksicht auf die Lebensumstände und Lebensphasen nehmen, in denen sich die Patienten befinden. Hierbei sind auch ausreichend psychosoziale Angebote zu beachten, die eine Integration des Gelernten in den Alltag überhaupt erst ermöglichen. Sozialarbeiterische Unterstützung kann gerade Frauen helfen, entlastende Strategien gegen die Doppelbelastung durch Beruf und Familie zu entwickeln. 

  • Nachsorge-Programme: Um einen nachhaltigen Reha-Erfolg zu erreichen, benötigen Frauen, deren Alltag häufiger von Verantwortlichkeiten rund um Familie und Haushalt dominiert wird, feste Strukturen. Telemedizinische Nachsorge-Programme könnten helfen, an die Reha-Ziele aus der stationären Rehabilitation anzuknüpfen und nachhaltig zu stabilisieren. Dies gilt insbesondere für den körperlichen Trainingserfolg. Die Nachsorge-Programme sollten flexibel auf die jeweiligen Lebensumstände eingehen. 

  • Forschung: Insgesamt bedarf es mehr Studien mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis zur Entwicklung evidenzbasierter Ansätze. Das gilt sowohl für die Rehabilitations- als auch die Medikamentenforschung, die bei der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse eine zentrale Rolle spielt. 


LITERATUR

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Fotos: zvg, istockphoto/ anastasia usenko
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