Ortho-Reha: Zielgerichtet, individualisiert und nachhaltig erfolgreich
Die orthopädische Rehabilitation hat in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht, um den spezifischen Bedürfnissen der Patienten besser gerecht zu werden. Aktuelle Entwicklungen und innovative Ansätze können individualisierte und zielgerichtete Behandlungsstrategien fördern.
AUTOR: Prim. Dr. Christian Wiederer
Ärztlicher Direktor Klinikum am Kurpark Baden, Klinikum Austria – Die Gesundheitsgruppe,
office@klinikum-austria.at
Traditionelle Rehabilitationsprogramme der Orthopädie und Traumatologie waren zum größten Teil standardisiert. Sie basierten auf allgemeinen evidenzbasierten Protokollen. Diese Standardisierung hatte zur Folge, dass die spezifischen Bedürfnisse und Ziele von Patienten teilweise nur unzureichend berücksichtigt werden konnten. Der erste wichtige Schritt zur Optimierung der orthopädischen Rehabilitation war, das individuelle persönliche Reha-Ziel jedes Einzelnen ins Zentrum der diagnostischen und therapeutischen Überlegungen zu stellen. In einem weiteren Schritt bietet die zunehmende Verfügbarkeit von Technologien und datenbasierten Ansätzen neue Möglichkeiten, stärker personalisierte Rehabilitationspläne zu entwickeln.
Individualisierte Ansätze
Individualisierte Ansätze stehen im Mittelpunkt moderner orthopädischer Rehabilitation. Dabei werden verschiedene Aspekte berücksichtigt:
Personalisierte Diagnostik: Die Rehabilitation beginnt mit einer detaillierten Analyse der individuellen Voraussetzungen wie der Bewegungsfähigkeit, Muskelkraft und spezifischen Krankheitsbilder. Moderne Bildgebung und biomechanische Analysen können die klinische Diagnostik unterstützen. Zum Beispiel kann die Ganganalyse dazu beitragen, spezifische Dysbalancen zu identifizieren und gezielte Übungspläne zu erstellen.
Therapieplanung: Auf Basis dieser Diagnostik werden gemeinsam mit den Patienten spezifische Therapieziele definiert. Diese sollten den Lebensstil, die beruflichen Anforderungen und die persönlichen Präferenzen der Patienten berücksichtigen. Ein älterer Patient mit Arthrose könnte beispielsweise das Ziel haben, schmerzfrei längere Spaziergänge zu unternehmen, während eine junge Athletin eine Rückkehr in den Wettkampfsport anstrebt.
Anpassung der Übungen: Rehabilitationsübungen werden auf den jeweiligen Fortschritt der Patienten zugeschnitten. Beispielsweise können Übungen zur Verbesserung der Stabilität bei Knieverletzungen individuell modifiziert werden, um gezielt die schwächsten Bereiche zu stärken. Ein Beispiel ist der Einsatz von Balance-Boards, um die Stabilität bei Patienten mit Sprunggelenksverletzungen zu verbessern.
Verhaltensänderung und Motivation: Individualisierte Ansätze können auch psychologische Faktoren einbeziehen, um die Therapie-Adhärenz zu verbessern. Motivationsstrategien wie das Setzen von erreichbaren Zwischenzielen unterstützen den Genesungsprozess. Ein Beispiel hierfür ist die Integration von Spielen in der Therapie, bei denen Patienten Punkte für korrekt ausgeführte Bewegungen sammeln, aber auch der Einsatz von Gamification-Elementen kann in diesem Zusammenhang angedacht werden.
Zielgerichtete Ansätze
Eine zielgerichtete orthopädische Rehabilitation basiert auf spezifischen Zielen, die individuell für die Patienten definiert werden. Dabei werden folgende Faktoren einbezogen:
Funktionelle Anforderungen: Partizipationsziele – darunter versteht man Ziele, die dazu beitragen, dass Patienten ihren Alltag besser meistern können – stehen im Fokus der medizinisch-therapeutischen Maßnahmen während der Rehabilitation. Die Patienten können hier ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Allen gemein ist die Eigenschaft, Betroffenen die Teilhabe am Alltag, sei es im Privatleben oder im Beruf, zu ermöglichen oder zu erleichtern. Beispiele sind die Wiederherstellung der Gehfunktion und des Treppensteigens, um im Wohnbereich das Schlafzimmer erreichen zu können, längeres schmerzfreies Sitzen im
Büro beim Schreibtisch oder das Heben von Paketen mit fünf Kilogramm in höhere Regale im
Handel.Vorteile der stationären Rehabilitation: Die stationäre Rehabilitation ermöglicht den Patienten neben der medizinischen Versorgung auch ein kontinuierliches Arbeiten über mehrere Wochen an einem funktionellen Ziel, ohne sich gleichzeitig um Alltagsthemen wie Einkaufen oder Haushalt kümmern zu müssen. Das stationäre Rehabilitationsteam umfasst im Gegensatz zur ambulanten Therapie auch Berufsgruppen aus Pflege, Psychologie und Diätologie, sodass hier die Defizite mit einem abgestimmten, multimodalen Therapiekonzept behandelt werden.
Krankheitsspezifische Unterschiede: Rehabilitationsansätze werden auf Basis orthopädischer oder unfallchirurgischer Diagnosen wie Bandscheibenvorfällen, Arthrosen oder Implantation von Endoprothesen fokussiert auf das Teilhabziel erstellt. Dies gewährleistet, dass die für diese Fragestellung bestgeeigneten Behandlungsformen zur Anwendung kommen können.
Patientenbeteiligung: Die Einbindung der Patienten in die Zielsetzung und Therapie-Planung fördert die Therapie-Adhärenz und Nachhaltigkeit der erreichten langfristen Ziele. Zielgerichtete Ansätze beinhalten regelmäßige Feedbackschleifen, um sicherzustellen, dass die Ziele an den Fortschritt der Patienten angepasst werden. Die besten Ergebnisse in puncto Zielerreichung werden dann erzielt, wenn sich Patienten bereits vor dem Rehabilitationsantritt gemeinsam mit ihren behandelnden Haus- und Fachärzten Gedanken über sinnvolle Reha-Ziele machen.
Individualisierung und Zielorientierung werden durch regelmäßige Outcome-Messungen überprüft und ermöglichen eine ständige Optimierung der Behandlungspläne. Beispiele für Outcome-Messungen sind funktionelle Übungen, die die angestrebte Alltagstätigkeit möglichst gut abbilden sollen.
Individualisierung durch digitale Technologien
Telerehabilitation: Die Telerehabilitation bietet die Möglichkeit, die erlernten Übungs- und Trainingsprogramme mit therapeutischer und ärztlicher Unterstützung zu Hause fortzusetzen und so das Therapieprogramm über den Rehabilitationsaufenthalt hinaus kontrolliert fortsetzen zu können. Dadurch kann das angestrebte individuelle Rehabilitationsziel nachhaltiger erreicht werden.
Wearables und Sensoren: Fortschritte in der Sensorik ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung von Bewegungen und physiologischen Parametern. Diese Daten liefern Einblicke in den Rehabilitationsfortschritt der Patienten und können genutzt werden, um Trainingsprogramme dynamisch anzupassen. Schrittzähler sind heutzutage sogar im Alltag häufig in Verwendung. Aber auch Bewegungssensoren können in Echtzeit erkennen, ob die Belastung eines Gelenks optimal ist, und gegebenenfalls bei Überlastung Warnungen ausgeben.
Künstliche Intelligenz (KI): KI-gestützte Analysen können große Datenmengen aus Patientenakten, Bildgebungen und Real-Time-Daten aus Wearables verarbeiten. Diese Daten können das Fachpersonal dabei unterstützen, individuelle Behandlungsstrategien zu erstellen.
Ein Beispiel ist die Nutzung von Algorithmen zur Vorhersage von Komplikationen nach einer Knie- oder Hüftoperation, um präventive Maßnahmen im Rahmen der Reha frühzeitig einzuleiten.
Virtuelle und erweiterte Realität (VR/AR): Simulierte Umgebungen können die Rehabilitation von Patienten mit orthopädischen Erkrankungen durch gezielte Bewegungsübungen bereichern. Diese Technologien bieten sowohl Motivation durch Gamification als auch Biofeedback-basierte Korrekturen. Patienten mit Schulterverletzungen können beispielsweise mit VR-Systemen Übungen durchführen, die alltägliche Bewegungen wie das Heben eines Objekts simulieren.
Herausforderungen im Zusammenhang mit digitalen Technologien
Datenschutz: Der Umgang mit sensiblen Patientendaten aus Wearables und anderen Technologien erfordert strenge Datenschutzmaßnahmen.
Kosten: Die Implementierung neuer Technologien kann mit hohen Kosten verbunden sein, die in den meisten Fällen in den Gesundheitssystemen nicht abgedeckt sind.
Schulungsbedarf: Das Behandlungsteam muss kontinuierlich im Umgang mit neuen Technologien geschult werden, um deren Potenzial voll auszuschöpfen.
Resümee
Die Zukunft der orthopädischen Rehabilitation kann in der Kombination aus individualisierten Ansätzen und zielgerichteten Strategien, unterstützt durch moderne Technologien liegen. Diese Entwicklung bietet die Chance, die Therapie-Ergebnisse zu optimieren und den Patienten eine Verbesserung ihrer individuellen Lebenssituation trotz ihrer Erkrankung und funktionellen Einschränkung zu ermöglichen. Insbesondere durch die Integration personalisierter Diagnostik, patientenspezifischer Zielsetzungen und kontinuierlicher Fortschrittsbewertung wird die orthopädische Rehabilitation auf ein neues Niveau gehoben. Beispiele wie die Einbindung von Patienten in die Therapieplanung, die Anpassung von Übungen an eingeschränkte Alltagsaktivitäten oder der Einsatz der Tele-Reha zeigen das Potenzial dieser Ansätze.
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