Viel Neues in der Behandlung von Blutkrebs

Die malignen Neoplasien des blutbildenden und lymphatischen Systems, umgangssprachlich oft als „Blutkrebs“ bezeichnet, umfassen eine sehr heterogene Gruppe an Erkrankungen. Erst im Jahr 2022 wurden zwei neue Klassifikationssysteme veröffentlicht, die in den wesentlichsten Punkten aber übereinstimmen.


 

AUTORIN: Dr. Ute Enökl-Tomantschger

Abteilung für Innere Medizin Krankenhaus der Barmherzigen Brüder St. Veit/Glan,

www.barmherzige-brueder.at


Grundsätzlich muss man zunächst unterscheiden, ob es sich um eine Neoplasie des myeloischen oder des lymphatischen Systems handelt. Dann kann anhand von weiteren histologischen, molekularen und immunhistochemischen Untersuchungen an Knochenmark und/oder Lymphknoten eine weitere Unterteilung vorgenommen werden.

Zum Teil gelingt eine exakte Zuordnung zu einer Entität erst im Verlauf, zum Teil gibt es auch Overlap-Erkrankungen, die Eigenschaften von zumindest zwei Entitäten aufweisen.

Therapeutisch hat es in den letzten Jahren erfreulicherweise quer durch die Hämatologie große Fortschritte gegeben. Sie befindet sich geradezu in einer Vorreiterrolle, was personalisierte Medizin und Immuntherapie betrifft. Einige dieser Erfolgsgeschichten sollen in diesem Beitrag nähergebracht werden, zugleich soll auch auf ungelöste Probleme hingewiesen werden.

Myeloische Neoplasien

Der Ausgangspunkt ist die Knochenmarksstammzelle, die durch Veränderungen im Erbgut eine gestörte Ausreifung aufweist. Kommt es dabei zur Vermehrung unreifer Zellen, handelt es sich um eine akute myeloische Leukämie, zeigen die neoplastischen Zellen eine mehr oder weniger normale Ausreifung, spricht man von myelodysplastischen oder myeloproliferativen Neoplasien, die einen chronischen Verlauf haben.

•Akute myeloische Leukämie (AML): Ein größerer Teil der Patienten ist mittleren und höheren Lebensalters. Unbehandelt verläuft jede Leukämie in Wochen bis Monaten tödlich. Bei intensiv behandelbaren Patienten orientiert sich das Vorgehen am molekularen und zytogenetischen Risiko. Während Niedrigrisikopatienten eine höhere Chance haben, mit einer intensiven Chemotherapie geheilt zu werden, benötigen Hochrisikopatienten zusätzlich eine allogene Stammzelltransplantation.

Um die transplantationsabhängige Mortalität möglichst niedrig zu halten, ist hier die Behandlung an einem Zentrum absolut notwendig. Viele AML-Patienten sind aber für eine intensive Chemotherapie nicht fit genug und erhalten in erster Linie eine Therapie mit der hypomethylierenden Substanz Azacytidin in Kombination mit Venetoclax (BCL2i) – diese Kombinationstherapie ist eine der großen Neuerungen der letzten Jahre und geht auf die Daten der VIALE-A-Studie zurück. Weitere praxisverändernde Studien führen zur Zulassung gezielt wirksamer Substanzen bei IDH1- und FLT3-mutierter AML.

• Myelodysplastisches Syndrom (MDS): Die häufigste myeloische Neoplasie ist mittlerweile als Vorläufer einer akuten Leukämie bekannt, wobei die Bandbreite von jahrelang indolentem Verlauf bis hin zu rascher Entwicklung einer Knochenmarksinsuffizienz reicht. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung nimmt die Anzahl der Menschen mit Myelodysplasie natürlicherweise zu, aber nur ein kleiner Teil entwickelt tatsächlich ein therapiebedürftiges Krankheitsbild.

Die Schwierigkeit besteht derzeit darin, möglich zielsicher jene Menschen zu identifizieren, deren Risiko einer Krankheitsprogression hoch ist. Molekulare und zytogenetische Marker aus dem Knochenmarkspunktat helfen auch hier mithilfe von Scores, das Risiko bei Diagnosestellung einzuschätzen, um dann das Kontrollintervall bzw. die Behandlungsstrategie festlegen zu können.

• Myeloproliferative Neoplasie: Die bekannteste Entität ist die chronisch myeloische Leukämie, die bis vor ca. 20 Jahren unaufhaltsam bis zum akuten Blastenschub fortgeschritten ist, während es mittlerweile ein ansehnliches therapeutisches Repertoire gibt.

Die Entdeckung der typischen Driver-Mutation Bcr-Abl und deren zielgerichtete Behandlung gehören zu den Sternstunden der modernen Medizin. Die Lebenserwartung der behandelten Patienten ist meist durch die Erkrankung selbst nicht mehr eingeschränkt. Herausforderung ist das Management der zum Teil beträchtlichen Nebenwirkungen der Dauertherapie.

Die sogenannten Philadelphia-Chromosom-negativen myeloproliferativen Erkrankungen sind somit alle jene, bei denen nicht die CML-typische Mutation vorliegt. Mittlerweile sind auch hier schon die häufigen Stammzellmutationen JAK2-, Calreticulin- und MPL-Mutation bekannt. Diese Erkrankungen werden oft zufällig im Rahmen einer Routine-Blutabnahme festgestellt oder es bringt eine Sonografie die Milzvergrößerung zutage.

Es können aber auch arterielle oder venöse Thromboembolien zur Diagnose führen. Typisch ist bei der Polyzythämia vera (PV) eine Vermehrung der Erythrozyten, wobei zumeist auch die Leukozyten und Thrombozyten betroffen sind. Die essenzielle Thrombozythämie beschränkt sich eher auf die Thrombozyten.

Landläufig als „dickes Blut“ bekannt, wird oftmals von Behandlern und Patienten unterschätzt, zu welch gravierenden Komplikationen diese Erkrankungen führen können. Eine Blutverdünnung mit Acetylsalicylsäure wird als Mindestmaßnahme empfohlen, bei der PV ist auch weiterhin die Aderlass-Therapie in den Leitlinien verankert.

Da sich insbesondere die JAK2-Mutation als unabhängiger Risikofaktor für Thromembolien erwiesen hat, nehmen frühzeitige zytoreduktive Strategien einen immer größeren Stellenwert ein. Pegyliertes Interferon und JAK2-Hemmer haben hier den „Platzhirsch“ Hydroxyurea zunehmend verdrängt, da sie besser verträglich sind und das Risiko einer Erkrankungsprogression reduzieren.

Die myeloproliferative Neoplasie mit der schlechtesten Prognose ist die Myelofibrose, die primär oder aus einer vorangegangen PV oder ET entstehen kann und im Laufe von wenigen Jahren meist zum Knochenmarksversagen führt.

Lymphatische Neoplasien

Im Gegensatz zu den myeloischen Neoplasien machen sie sich häufiger durch Lymphknoten- oder Milzvergrößerung bemerkbar.

 
 

• Akute lymphatische Leukämie: Die akute lymphatische Leukämie und das Burkittlymphom kommen im Erwachsenenalter relativ selten vor, stellen aber aufgrund des sehr aggressiven Verlaufs einen der wenigen hämatologischen Notfälle dar.

• Lymphome: Sie werden am häufigsten durch Lymphknotenvergrößerungen bemerkbar, die durch Organ- oder Gefäßkompression durchaus auch bedrohlichen Charakter haben können. Entscheidend ist, dass die histologische Untersuchung eines betroffenen Lymphknotens durch einen versierten Pathologen erfolgt, um festzulegen, ob es sich um ein indolentes oder aggressives Lymphom handelt, ob es die B-Zellreihe betrifft oder seltener die T-Zellreihe. Bei leukämischem Verlauf indolenter Lymphome ist die Diagnosestellung auch einfach durch eine Durchflusszytometrie aus einem Blutbildröhrchen im spezialisierten Labor möglich.

Nicht immer ist eine Therapie notwendig. Ebenso wie die Myelodysplasie nimmt auch die monoklonale B-Zell-Lymphozytose als Vorläufer der chronisch lymphatischen Leukämie im Alter zu. Um mögliche Therapienebenwirkungen rechtfertigen zu können, soll nur im Falle von Erkrankungssymptomen wie Blutarmut, Fieber, Gewichtsverlust oder raumfordernden Lymphknotenschwellungen behandelt werden.

Die herkömmliche Chemotherapie ist bei den indolenten Lymphomen längst im Rückzug begriffen und wird zunehmend von zielgerichteten Substanzen verdrängt. Bei den aggressiven B-Zell-Lymphomen, mit dem diffus großzelligen Lymphom als häufigster Entität, ist die Chemotherapie in Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab noch unverzichtbar, da ein rascher Wirkeintritt nötig ist.

• Myelom: Während die Lymphome zumeist primär im Lymphknoten entstehen und erst dann das Knochenmark befallen, ist es beim nahen Verwandten, dem Myelom/Plasmozytom, umgekehrt. Zunächst kommt es zur Plasmazellvermehrung mit Osteolysenbildung im Knochenmark und erst im Spätstadium zu extra medullären Raumforderungen. Lymphknotenschwellungen gehören nicht zu den Symptomen des Myeloms. Ähnlich den bereits beschriebenen Tumorvorstufen MDS und monoklonale B-Zell-Lymphozytose hat auch das Myelom ein Frühstadium, die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz. Es handelt sich um eine Diagnose, die sich auf einer Untersuchung der Bluteiweiße mittels Elektrophorese und Immunfixation stützt.

Unklare Nierenfunktionsverschlechterung, Anämie und Hyperkalziämie vor allem in Kombination mit Knochenschmerzen müssen an das Myelom denken lassen. Obwohl das Myelom weiterhin nicht heilbar ist, außer mittels allogener Transplantation, hat die Zulassung zahlreicher Substanzen und Substanzkombinationen die Behandlung revolutioniert. Die Erkrankung kann oft viele Jahre bei guter Lebensqualität unter Kontrolle gehalten werden. Die genannte allogene Transplantation ist daher nur jüngeren Hochrisikopatienten vorbehalten, die auf die herkömmlichen Therapien nicht ansprechen.

Sowohl bei Myelom als auch bei bestimmten Lymphomen ist in den letzten Jahren die Ära der Immuntherapie angebrochen – in Form von genetisch veränderten T-Zellen (CAR-T cells) und bispezifischen Antikörpern können bisher unerreichte Remissionstiefen und auch in stark vorbehandelten Stadien eine Heilung erreicht werden.


FotoS: zvg, istockphoto/ Nemes Laszlo, istockphoto/ wildpixel

Mehr Artikel

 

Zurück
Zurück

Neue Studie zu Schweregrad und Verlauf von Covid-19

Weiter
Weiter

Biomarker für frontotemporale Demenz